A. Hereth
Geschlechtersensibel unterrichten bedeutet, dem Thema „so wenig Aufmerksamkeit wie möglich und so viel wie nötig“ (Breuer/Jahnke-Klein 2007, S. 139) zu schenken!
„Ein Unterricht, der versucht, jedem Individuum gerecht zu werden, kann als ein geschlechtergerechter Unterricht angesehen werden“! (Faulstich-Wieland/Willems/Feltz 2008, S. 12)
I. Es führt nicht das Geschlecht zu Geschlechterdifferenzen in der Schulleistung, sondern das Selbstvertrauen der Schüler/innen und die Erwartungen der Mütter, Väter, Lehrkräfte.II. Unterschiede innerhalb der Geschlechtergruppe sind größer als zwischen den Geschlechtergruppen.
III. Es geht nicht darum Jungen oder Mädchen umzupolen, sondern vorhandene Kompetenzen zu ergänzen. Gleiches soll gleich und Verschiedenes verschieden behandelt werden
Die folgenden Aussagen wurden in Hinblick auf statistisch signifikante Forschungsergebnisse formuliert (siehe z.B. unter Sozialpsychologie die Ausführungen zur "Attributionstheorie" und in Jahnke-Klein, 2011, siehe unten). Die Befunde gelten damit immer für die jeweils ausgewählten Stichproben, das heißt für große Gruppen, die untersucht wurden. Die Relevanz der folgenden Aussagen kann damit jederzeit durch Einzelfälle widerlegt werden, die Sie anführen könnten: z.B. ein Mädchen oder einen Jungen, das oder den Sie unterrichten und die oder der völlig anders handelt als laut Forschungslage die meisten seiner oder ihrer Geschlechtsgenossen oder -genossinnen. Darüber hinaus gilt, dass rein statistisch betrachtet die Unterschiede innerhalb der Geschlechtergruppen größer sind als zwischen den Geschlechtergruppen (siehe dazu auch unter Einführung "Die empirische Ebene"). Deshalb sollten Sie versuchen, die Thesen daraufhin zu betrachten bzw. zu diskutieren, ob sie Ihrer Erfahrung nach für die meisten Mädchen bzw. Jungen gelten, die Sie unterrichten und unterrichtet haben.
- Mädchen wünschen sich sehr ausführliche Erklärungen.
- Mädchen wollen am liebsten so lange nachfragen, wie sie möchten. Sie wollen keine Fehler machen, ganz sicher sein, den Unterrichtsstoff auch wirklich bzw. richtig verstanden zu haben und Überraschungen vermeiden.
- 70% der Jungen haben die gleichen Anliegen wie die Mädchen. Sie äußern diese jedoch nicht (Streber, uncool, unmännlich, …).
- Ein Teil der Jungen (etwa 30%) baut zu 2. eine klare Gegenposition auf. Sie stört das langsame Vorankommen, wünschen sich weniger ausführliche Erklärungen, schnellen Themenwechsel, nicht viele Übungsaufgaben vom gleichen Typ, wollen herausgefordert werden durch komplexere Aufgaben. Die Jungen begründen dies damit, dass sie sich sehr schnell langweilen, wenn sie meinen (!) den Unterrichtsstoff verstanden zu haben. Sie haben sehr schnell das Gefühl den Stoff verstanden zu haben. Diese Jungen suchen deutlich weniger Sicherheit (starkes Selbstvertrauen!) als die Mehrheit der Mädchen und die anderen Jungen. Die eine Beschleunigung des Unterrichtstempos fordernden Jungen tragen ihre Wünsche so massiv und dringlich vor, dass der Eindruck entsteht, diese Gruppe in der Klasse sei viel größer als sie es ist.
- Andere Jungen führen an, sich zu langweilen, wenn sie den Stoff nicht verstanden haben. Das Thema soll gewechselt werden, weil es nicht verstanden wurde. Sie gehen davon aus, dass neue Themen „leichter“ seien.
- Äußerst selten finden sich Mädchen, welche die Anliegen 4. und 5. haben. Sowohl die Lehrpersonen als auch die Mitschüler können den Eindruck gewinnen, dass den Mädchen alles ganz langsam erklärt werden muss, weil sie den Stoff nicht so leicht verstehen. Die Noten der Mädchen sind aber i.d.R. (etwas) besser als die der Jungen. Die Mädchen verhalten sich offensichtlich einfach nur so, als wären sie inkompetent. Jungen neigen eher dazu sich zu überschätzen, Mädchen unterschätzen sich eher. Um dem zu begegnen werden alternative Methoden der Leistungseinschätzung empfohlen: z.B. Selbsteinschätzung, wechselseitige Leistungskontrolle und - einschätzung vor der „offiziellen“ Leistungsbeurteilung.
7. Viele Mädchen und einige Jungen
- wollen über den Unterricht hinaus intensiv üben
- legen Wert auf die Kontrolle der Ergebnisse
- wünschen sich Schemata, Merksätze („Haltegriffe“), Strukturierungshilfen (z.B. Advance-Organiser!/Prof. Wahl)
- wollen sich gegenseitig den Unterrichtsstoff erklären
8. Die nach Schnelligkeit strebenden Jungs müssen Kontrolltechniken trainieren, Arbeitsschritte genau dokumentieren und kommentieren (Lerntagebücher!) / auch tiefergehende Fragen zu Aufgaben und zur Lösung können eine Verlangsamung des Denkens herbeiführen / Regelhefte zu führen kann sinnvoll sein.
9. Schnelle und leistungsstarke Schüler/innen können als Lehrende eingesetzt werden.
10. Es ist wichtig, das Selbstvertrauen der Mädchen zu stärken!
11. Das Kooperationsbedürfnis der Mädchen sollte beachtet werden (Partnerarbeit, Gruppenarbeit, LdL, Projektarbeit, …)
12. Vor allem für die Jungen kann es gut sein, die Faszination der Technik zu nutzen, Abwechslung / Herausforderung durch Computereinsatz zu erreichen (individualisierte Textauswahl, Variation bei Übungsaufgaben, …)
13. Die Lesekompetenz bei den Jungen ist signifikant schlechter als die der Mädchen. Das heißt: Leseförderung nicht vergessen! (Aufgabe der Deutschlehrkraft?! Lesepatenprojekte, …)
Literatur
- Breuer, H. & Jahnke-Klein, S. (2007) Jungenarbeit in der Grundschule - Ergebnisse einer Lehrerbefragung. In: Pfeiffer, S. (Hg.) Sachunterricht im 21. Jahrhundert. Bestandsaufnahmen - Herausforderungen - Visionen. Oldenburg: Didaktisches Zentrum. 136-139
- Faulstich-Wieland, H. (2008) Geschlechtergerechter naturwissenschaftlicher Unterricht - Unterrichtsszenen. In: Faulstich-Wieland, H. et al. GENUS - Geschlechtergerechter Naturwissenschaftlicher Unterricht in der Sekundarstufe I. Klinkhardt. 29-60
- Jahnke-Klein, S. (2011) Jungen und Mädchen im Mathematikunterricht. Was wünschen sie und wie sollte mit den Wünschen umgegangen werden? In: Pädagogik. Heft 3. Beltz
- Matzner, M. & Tischner, W. (2008) Handbuch Jungen-Pädagogik. Beltz
- Matzner, M. & Wyrobnik, I. (Hg.) (2010) Handbuch Mädchen-Pädagogik. Beltz
- Praxis Schule 5-10. Heft 6 (2012) Mädchen- und Jungenpädagogik. Westermann