A. Hereth

Transsexualität im Kindes- und Jugendalter

 

Die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ sind uns so geläufig, dass wir sie fast nie in Frage stellen, weder in Hinblick auf ihre Kriterien noch in Bezug auf ihre Funktion (siehe z.B. auch unter: Einführung / Anliegen und Ziele des Portals ).

Die bekannten biologischen Faktoren (siehe unter "5 Faktoren"), die beeinflussen, welche geschlechtliche Identität eine Person für sich als passend empfindet, erfordern die beiden Pole "weiblich" und "männlich" lediglich als die zwei Endpunkte einer Geraden bzw. eines Kontinuums aufzufassen. Die binäre Geschlechterordnung, welche nur die beiden Pole "weiblich" und "männlich" kennt, greift zu kurz. Bei jeder Person sind die fünf biologischen Faktoren individuell unterschiedlich stark bzw. im Zusammenspiel verschieden ausgeprägt, dadurch ergibt sich  eine große Anzahl möglicher Varianzen in Hinblick auf die Geschlechtsidentiät. Es gibt Kinder und Jugendliche, bei denen z.B. die Ausprägung der inneren und äußeren Geschlechtsmerkmale - und das damit zugewiesene biologische Geschlecht "männlich" (oder "weiblich") - nicht mit ihrem Empfinden "Ich bin ein Mädchen" (oder "Ich bin ein Junge") übereinstimmen (= Geschlechtsdysphorie). Das Leiden an dieser Diskrepanz wird immer größer, je weiter die Pubertät voranschreitet und die Gewissheit "Ich muss mit dem falschen Körper leben" immer belastender wird.

In der Reportage Transsexualität - Das ist kein Spleen auf ZEIT ONLINE und im deutschen aerzteblatt.de werden u.a. der Artikel Zwischen Kopf und Körper aus DIE ZEIT (Nr. 48, 22.11.18) diskutiert. In diesem ist zu lesen, dass sich die Zahl der Jugendlichen, die sich im falschen Köper wähnen und ihr Geschlecht wechseln wollen, z.B. in München in der Zeit von 2013 - 2018 verfünffacht habe und weltweit immer früher damit begonne werde, betroffene Heranwachsende durch Hormongaben bzw. Pubertätshemmer zu behandeln. Zu den körperlichen Folgen gehört dann auch Unfruchtbarkeit. Der Oberarzt der Münchner Uni-Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie A. Korte wird mit folgender Feststellung zitiert "Fünf Jugendliche im selben Alter und aus demselben Ort [mit möglicher Geschlechtsdysphorie], das widerspricht jeder medizinischen Wahrscheinlichkeit. Es muss da andere Gründe geben."

Der Autor des ZEIT-Artikels M. Spiewak schreibt "Die Schätzungen, wie viele erwachsene Transsexuelle (andere sprechen von Transgender oder Transidenten) es gibt, gehen stark auseinander: Manche sagen, einer von 10.000 Menschen, andere beziffern den Anteil auf einen von 500. Die Zahlen schwanken je nach Land und sind über die Jahre moderat gestiegen. Bei Jugendlichen aber sind die Behandlungszahlen weltweit geradezu explodiert. (...) Ursachen: psychische Probleme, Pubertätskrisen oder gar ein medialer Transgenderwahn?" Korte stellt fest, dass es relativ häufig vorkomme, dass Kinder mit ihrem Geschlecht hadern, die meisten - "70-90%" (Korte) - würden jedoch ihr "geschlechtsatypisches Verhalten" (Korte) irgendwann wieder aufgeben. Manche vermeintliche "Transgenderkids" (Korte) würden sich später als homosexuell erweisen.

Der Frankfurter Kinder- und Jugendpsychiater B. Meyenburg weist im ZEIT-Artikel darauf hin, dass nicht alle Heranwachsenden so einen Sinneswandel erleben und dass "Für diese Kinder (...) die Pubertät eine Qual [ist]". Auf dem Portal der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e.V. im Artikel Leben im falschen Körper - Transsexualität im Kindes- und Jugendalter (von Meyenburg & Richter-Unruh) finden Sie z.B. Informationen zur Diagnostik der Geschlechtsdysphorie.

Die Transgender-Expertin S. Fahrenkrug (Leiterin der Spezialambulanz der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf) sagt "Weder mit Genanalysen noch mit Hirnscannern lassen sich 'echte' von 'falschen' Transjugendlichen unterscheiden. Letzlich komme es darauf an, (...) wie glaubwürdig und konsistent die Betroffenen ihr Gefühl schildern, im falschen Körper zu stecken. Und wie lange sie schon das Leben im anderen Geschlecht ersehnen." (DIE ZEIT, Nr. 48, 22.11.18). Was die Experten irritiert, ist der Trend, dass immer häufiger Heranwachsende - meist Mädchen - ihren Körper erst als "falsch oder feindlich" erleben, wenn sie in die Pubertät kommen. In den USA befragte  L. Littmann Eltern Pubertierender, die sich erst spät oder plötzlich und unvorhersehbar geoutet haben (Stichprobengröße: 256). Sie berichtet, dass 66% der befragten Eltern von "late-onset" bzw. "rapid-onset" angeben, ihr Kind  hätte sich vor dem Coming-out intensiv über You-Tube-Seiten anderer Transgender-Jugendlicher informiert und 50% der befragten Eltern von Mädchen gaben an, dass sich gleich mehrere Freundinnen oder Klassenkameradinnen gemeinsam geoutet hätten. Littmann spricht hier von "Transgender-Clustern" und "sozialer Ansteckung". Fahrenkrug sagt "Mitunter herrscht eine richtige Konkurrenz, wer am schnellsten Hormone bekommt. Erfolge werden gefeiert. Und anders als früher berichten Transjugendliche nach dem Coming-out auch aus der Schule und dem Freundeskreis von Akzeptanz, manchmal gar Bewunderung." Korte vermutet " ..., dass die (Selbst-) Diagnose 'Trans' für einen Teil der Jugendlichen eine 'Identifikationsschablone' ist, die Anerkennung verspreche und andere Probleme kaschiere." "Tatsächlich melden Kliniken wie jene in Hamburg heute mehr Transjugendliche mit Depressionen oder Angststörungen als früher." (...) Der Autor des ZEIT-Artikels - Martin Spiewak - zieht als Fazit aus seinen Recherchen: "Fakt ist: Bislang gibt es nur wenige Hinweise auf falsche Diagnosen [von Geschlechtsdysphorie]". Fahrenkrug rät den Ärzten und Psychologen die Kinder und Jugendlichen "individuell und ergebnisoffen" zu begleiten. "Hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben." (alle Zitate aus: DIE ZEIT, Nr. 48, 22.11.18)

 

Jede/r Heranwachsende, der/die sich in der Schule als homo-, bi-, queer- oder transsexuell outet, sollte deshalb von dieser im Rahmen des individuell Erforderlichen betreut werden. Mögliche Ansprechpartner sind die zuständigen Schulpsychologen*innen, die - in der Rolle des Case-Managers - u.a. Runde Tische (Teilnehmer: ratsuchende Schüler*in, Lehrkräfte des Kindes, Eltern, Schulleitung, behandelnder Therapeut*in, ...) und schulische Inklusionsmaßnahmen (Gespräch mit der Klasse, WC-Nutzung, Teilnahme am Sportunterricht männlich oder weiblich?, ...) organisieren sowie - falls erforderlich - den Kontakt zu außerschulischen Fachberatungsstellen bzw. Therapeuten vermitteln.

 

Weiterführende Informationen - Arbeitshilfen