S. Seiler

Aus Sicht der klinischen Psychologie ist hinsichtlich der Genderdiskussion die vielleicht wichtigste Frage, wie es zu erklären ist, dass die meisten kinder- und jugendpsychiatrischen Störungsbilder bzw. psychischen Probleme bis zur Pubertät häufiger bei Jungen als bei Mädchen auftreten.

 

Im Folgenden werden zunächst kurz die wichtigsten Ergebnisse aus der klinischen Psychologie dargestellt:

Hinsichtlich des Auftretens psychischer Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter sind Jungen als das „schwache" Geschlecht anzusehen. Sie weisen bei fast allen psychischen Störungen höhere Prävalenzraten auf. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass sie eine Reihe dispositioneller Besonderheiten mitbringen, die sie in besonderem Maße vulnerabel machen und die in einer ungünstigen Wechselwirkung mit Umweltfaktoren stehen.

  • Der beschriebene Trend dreht sich im Jugendalter um, sodass im Erwachsenenalter nun Frauen häufiger von psychischen Störungen betroffen sind.
  • Zu vermuten ist, dass die Unterschiede in den Prävalenzen (im Kindes- wie auch im Erwachsenenalter) wenigsten teilweise auf gesellschaftliche Prozesse – wie die Tabuisierung psychischer Störungen bei erwachsenen Männern – zurückzuführen ist und insofern nicht den Fakten entsprechen. Als Ausnahmen zu betrachten - da sie auch im Erwachsenenalter häufiger bei Männern vorkommen - sind bestimmte Persönlichkeitsstörungen, Alkoholismus, Aggression, Gewalt, Delinquenz und Suizide.
  • Als durchgängiges Muster ist zu beschreiben, dass Jungen und Männer in stärkerem Maße von externalisierenden, das heißt nach außen gerichteten Störungen (Sozialverhaltensstörung, Hyperkinetische Störungen) betroffen sind.
  • Als beständiger Trend hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass sich Jungen und Mädchen angleichen und die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Prävalenzen abnehmen (Was sich besonders eindrücklich anhand der Essstörungen sowie der Formen von Jugendgewalt zeigen lässt).
  • Studien zeigen, dass die genderspezifischen Unterschiede veränderbar sind und sich selbst die biologischen Grundlagen, die zur Vulnerabilität von Jungen beitragen, positiv verändern lassen. Durch entsprechende Maßnahmen lässt sich demnach die Vulnerabilität von Jungen vermindern.

Unter den jeweiligen Menüpunkten finden Sie relevante Wissensbestände aus der klinischen Psychologie, die genderkompetent handelnde Lehrkräfte kennen sollten. Im Einzelnen wird dargestellt, welche dispositionellen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen bestehen und welche Auswirkungen diese auf die Passungsprozesse zwischen Kind und Umwelt haben. Weiterhin werden die wichtigsten Geschlechtsunterschiede in den Prävalenzen (= Auftretenshäufigkeiten) Psychischer Störungen dargestellt. Von Relevanz sind auch Ergebnisse, die differenziert die Probleme beschreiben, welche mit Aggressionen sowie selbstverletzendem Verhalten und Suizid einhergehen. Unter dem Menüpunkt Persönlichkeitsstörungen dargestellt, dass die genderspezifischen klinischen Beobachtungen für die gesamte Lebensspanne von Bedeutung sind. Abschließend findet sich eine zusammenfassende Diskussion der verschiedenen Themengebiete.