Latein

B. Korda, J. Schlagbauer

Die Notwendigkeit der stärkeren Fokussierung auf einen genderbezogenen Lernkontext belegt die steigende Zahl wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zu Unterrichtsqualität und Lernerfolg. Gerade im Fach Latein werden Leistungsdifferenzen zwischen Jungen und Mädchen besonders sichtbar, da das Fach von allen Schülerinnen und Schülern hohe Selbstdisziplin im Auswendiglernen von Vokabeln fordert, Ausdauer bei der analytischen Erschließung unbekannter Grammatikphänomene sowie Geduld und Kombinationsbereitschaft beim Übersetzen der lateinischen Sätze. Der geschichtlich-kulturelle Hintergrund, als Realienkunde im Fach bezeichnet, interessiert die Schülerinnen und Schüler im Lateinunterricht in der Unterstufe am ehesten, bildet jedoch nur einen geringen Anteil der Lerninhalte ab. Aufgabe der Lehrkraft ist es deshalb, durch eine gendersensible Gestaltung des Unterrichts die Schülerinnen und Schüler darin zu unterstützen, ein tragfähiges Sprach- und Grammatikgerüst zu erwerben, um sich ab der Jahrgangsstufe 9 gewinnbringend mit den Themenfeldern der lateinischen Originallektüre auseinandersetzen zu können.

 
Das Selbstvertrauen der Schülerinnen und Schüler im Fach Latein

Das Selbstvertrauen von Schülerinnen und Schülern korreliert zum einen stark mit dem Maß an Unterstützung durch das Elternhaus sowie damit, wie sehr dem eigenen Kind vertraut wird, ihm Herausforderungen zugetraut werden und inwieweit ein positiv-wertschätzender, fürsorglich-liebender Erziehungsstil herrscht. Zum anderen haben die Lehrkräfte einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Förderung oder Verminderung des Selbstvertrauens und des Selbstkonzepts von Schülerinnen und Schülern - insbesondere bezogen auf die fachlichen Fähigkeiten (Hattie 55 ff.).

Es liegt an den Lehrkräften,

  • nicht zuzulassen, dass Schüler die Rolle des hilflosen Lerners annehmen, sondern ihnen direkte, hilfreiche Unterstützung beim Erlernen von Wortschatz und Grammatik zu geben,
  • sie bei schlechten Leistungen nicht allein zu lassen, sondern sie zur individuellen Fehleranalyse anzuleiten und ihnen konkrete Lernhilfen zu geben,
  • den Schülerinnen und Schülern Mut zu machen und zu signalisieren, dass sie an den Erfolg der Schüler glauben und – ganz entscheidend – zwischen der Person des Schülers und dem Lernerfolg differenzieren.

Mädchen benötigen hierbei auch im Fach Latein klare Signale wertschätzender Unterstützung. Sie sind tendenziell eher bereit, den Erwartungen der Eltern und Lehrkräfte hinsichtlich ihrer Leistungen zu entsprechen.  Vokabellernen fällt ihnen bei ihren Leistungsansprüchen an sich selbst in der Tendenz leichter als Jungen, doch gleichzeitig zeigen sie geringeres Selbstvertrauen in ihr Können. Deshalb gilt es, Mädchen ganz besonders aufzuzeigen, was sie gut beherrschen und dass sie erfolgreich sein können.

Jungen hingegen scheinen vielfach mit ihrem stärkeren Selbstvertrauen von der Anerkennung der Lehrkraft weniger abhängig zu sein als Mädchen. Sie sehen im Gegenteil häufig ihr „Cool-Sein“ gefährdet, wenn sie von der Lehrkraft vor der Klasse ‚gelobt’ werden, und tendieren eher dazu, Schwächen auszublenden bzw. zu leugnen statt sich selbst realistisch einzuschätzen. Aufgabe der gendersensibel agierenden Lehrkraft diesen Jungen gegenüber ist es deshalb, die Einsicht zu fördern, dass sie ihren Lernerfolg durch mehr Ehrlichkeit gegenüber sich selbst steigern können.

 

Genderaspekte im Kontext des Lateinunterrichts

 

Grammatik

Mädchen neigen dazu, im Lateinunterricht vor allem Grammatik und Übersetzungsmöglichkeiten ganz genau zu durchdringen. Die umfassende Kenntnis und das Wissen, dass sie die lateinische Grammatik wirklich verstanden haben, gibt ihnen Sicherheit. Um ganz sicher sein zu können, alles verstanden zu haben, wollen sie lieber mehr als weniger fragen und üben, sind eher zu drill-Übungen bereit und empfinden das Überlernen von Grammatik, Vokabeln oder Formenlehre nicht als langweilig, sondern es gibt ihnen Gewissheit, den Lernstoff verstanden zu haben.

Jungen hingegen sind bei Neudurchnahmen von Grammatik schnell der Meinung, alles verstanden zu haben, verkennen jedoch, dass ein grundsätzliches Verständnis eines grammatischen Phänomens noch nicht bedeutet, es geübt und internalisiert zu haben. Sie reagieren mit Störung und Desinteresse, wenn Mädchen in dieser Unterrichtsphase genau nachfragen. Mädchen trauen sich deshalb vielfach nicht mehr, Fragen zu stellen, aus Angst unangenehm aufzufallen. Bietet eine Schule die Wahl zwischen gemischten und monoedukativen Klassen in der Unterstufe, so äußern sehr viele Mädchen, die Mädchenklassen besuchen, dass sie die größere akustische Ruhe, die störungsfreie Lernzeit und das nette Miteinander in der Klasse genießen.

In ihrer Ungeduld, inhaltlich weiterzumachen, Neues, Interessantes geboten zu bekommen, beschleunigen Jungen hingegen oft den Unterrichtsfortgang – zu Lasten der Mädchen, aber auch zu ihrem eigenen Schaden, da sie den Grammatikstoff oft noch  nicht verstanden haben, sich jedoch nicht weiter damit auseinandersetzen wollen. Aufgrund zu großer Wissenslücken fachlich überfordert, können sie dem Unterricht nicht mehr folgen. Sie fangen an, sich zu langweilen, sich fremd zu beschäftigen und zu stören.

 

Üben, Festigen, Vertiefen – Hausaufgaben im Genderkontext  

Die Einübung und Vertiefung grammatischer Phänomene und ihrer adäquaten Übersetzung kann nicht allein zu Hause geleistet werden, sondern muss auch im Unterricht geschehen. Vor allem Mädchen bevorzugen die Anwesenheit einer Lehrkraft, um während der Übungsphase die Möglichkeit zu haben, Fragen zu stellen und sich zu vergewissern, ob sie die Aufgabenstellung und die zu übenden Phänomene richtig verstanden haben.

Haben Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten bei der Hausaufgabe oder fühlen sie sich überfordert, sie allein zu bearbeiten, so

  • wenden sich Jungen häufig schnell ab und versuchen, vom Freund oder in der Lektürephase aus dem Internet deutsche Übersetzungen abzuschreiben, oder sie melden der Lehrkraft, sie haben die Hausaufgabe vergessen. Denn zu sagen, sie hätten sie nicht verstanden und deshalb nicht gemacht, passt nicht zum jungentypischen Selbstverständnis.
  • Mädchen hingegen versuchen, die Hausaufgabe irgendwie zu bewältigen, verbringen lieber sehr viel Zeit mit einem Lösungsversuch, als dass sie nach kurzer Zeit aufgeben. Sie sind auch eher bereit, der Lehrkraft gegenüber zuzugeben, dass sie die Hausaufgaben nicht verstanden haben.

 

Überprüfung von Arbeitsergebnissen

Bei der Überprüfung von Arbeitsergebnissen (Hausaufgaben, schulische Übungen) tragen Mädchen gerne ihre individuellen Lösungen in leichter inhaltlicher Varianz vor, um direkte Bestätigung für ihre richtige Lösung durch die Lehrkraft zu erhalten, während Jungen eine tendenziell richtige Lösung reicht; eigene Lösungen vorzutragen, ist ihnen eher lästig. Dies liegt auch daran, dass insgesamt die konzentrierte Auseinandersetzung mit dem Lernstoff im Unterricht – sichtbar durch inhaltliches Nachfragen, bestätigendes Wiederholen von Lerninhalten – eher als uncooles Strebertum bewertet wird, gerade in den Jahrgangsstufen 7 bis 9.

Um den Lernerfolg zu steigern, ist es häufig erforderlich, die Bereitschaft und die Fähigkeit der Jungen zu fördern, ihre Arbeitsergebnisse selbstständig und strukturiert zu überprüfen,  Fehler zu notieren und diese systematisch zu beheben.

 

Lernstrategien

Zeigen Schüler und Schülerinnen - trotz intensiver Übung und Wiederholung im Unterricht - weiterhin schlechte Ergebnisse, muss die Lehrkraft zunächst den Fokus auf die Vermittlung von Lernstrategien legen. Hier gilt es vor allem den oft weniger ausdauernden Jungen die Notwendigkeit aufzuzeigen, neue Lernwege zu beschreiten (bzw. zu nutzen). Diese müssen  zunächst im Unterricht trainiert werden, z.B.: wie Vokabeln effektiv gelernt und Wortschatzlücken aus den Vorjahren geschlossen werden können. Zu einem hilfreichen Methodenrepertoire gehören dabei z.B.: Concept mapping, Lernsätze (nicht der Max, sondern der Mox kommt bald; endlich bekomme ich mein Tandem-Radl), Merksätze selbst finden und vorstellen lassen, Wörter mit Bewegung verbinden (große Armbewegung bei maximus, kleine Handbewegung bei minimus), neu zu erwerbendes mit vorhandenem Wissen verknüpfen (Bezug zu deutschen Fremdwörtern, den AcI im Vergleich zu bekannten Sprachmustern einführen, z.B. „Er sieht seinen Vater kommen“; „he wants his father to come").

 

Unterrichtsformen

Zwar bevorzugen Jungen häufig eher lehrerzentrierte Unterrichtsphasen, für den Lateinunterricht insgesamt sollte jedoch für eine gute Zukunft des Faches die Maxime der maximalen Schüleraktivierung gelten. Die traditionelle Unterrichtsstruktur mit Einstimmung, Abfrage mit Wiederholung der letzten Hausaufgaben, Besprechung der neuen Hausaufgaben, Neudurchnahme mit ein bis zwei Übungsmöglichkeiten für die Schüler und Stellung der neuen Hausaufgabe spricht in ihrer Starrheit und Berechenbarkeit Jungen nach kurzer Zeit nicht mehr an. Bei der Ausfrage eines Schülers oder einer Schülerin neigen die Jungen dazu sich schnell zu langweilen, konzentriertes Zuhören fällt ihnen in dieser Situation öfter schwer, als den Mädchen. Diese agieren in solchen Unterrichtsphasen häufiger nicht so, dass es den Unterricht stört,, haben jedoch – genau so wie die Jungen – mehr Lernerfolg, wenn sie selbst eine Aufgabe bearbeiten dürfen. In schüleraktivierenden Phasen sollte so häufig wie möglich  differenziert (durch unterschiedlich schwierige Aufgabenstellungen / Pflicht- und Wahlaufgaben) und individuell gefördert (durch individuelles Feedback bei oder nach Einzelarbeitsphasen) werden. Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler können in Einzel-, Partner- und Gruppenarbeitsphasen als „Lerncoaches“ agieren, was innerhalb einer Geschlechtergruppe in der Regel von den Beteiligten problemlos akzeptiert wird. Problematisch kann es sein, wenn leistungsschwache Jungen sich von leistungsstarken Mädchen etwas erklären lassen sollen. Es liegt an der Lehrkraft, nach Einschätzung des Klassenklimas und Miteinanders von Jungen und Mädchen in der Klasse zu entscheiden, inwieweit ein solches Vorgehen in der Unter- und Mittelstufe sinnvoll ist. (Siehe auch unter Unterricht>Unterrichtsgestaltung>alle Fächer: Gruppenarbeit – genderspezifische Aspekte).

Literatur

Hattie, J. (2013) Lernen sichtbar machen. Überarbeitete dtsprach. Ausgabe von Visible Learning besorgt von Beywl W., Zierer, K. Baltmannsweiler.